Mit einer falschen Nummer fängt es an, mitten in der Nacht läutet das Telefon dreimal und die Stimme am anderen Ende fragt nach jemandem, der er nicht ist. >>Nils, Nils? Gott sei Dank bist du wach geworden.<< Die Frau am anderen Ende klingt erleichtert. Er soll eigentlich ein Nils sein. Ist er aber nicht. Vor er etwas erwidern kann, schießen die Worte nur so aus dieser Unbekannten am Telefon heraus. Er müsse nach Amerika, unbedingt, bestand die Frau darauf. Felicia sei krank und man benötige von ihm unbedingt einen Test, um herauszufinden, ob er spenden könne. >>Ich kann aber nicht spenden.<<, sagt er müde. Nuschelt es regelrecht in den Hörer. Er setzt sich langsam im Bett auf, weil er schon vermutet, dass dieser Anruf nicht nach wenigen Sekunden abgehakt sein wird. >>Du musst aber, Nils!<< schreit sie. >>Es muss sein. Sie braucht dich jetzt. Der Krebs… Sei‘ wenigstens einmal ihr Vater! Kümmere dich nur einmal um uns!<< Die Frau am anderen Ende bricht nun in Tränen aus. Sie erscheint ihm richtiggehend verzweifelt. Bildet er es sich ein oder hört er im Hintergrund die monotonen Piepsgeräusche auf einer Intensivstation? Überhaupt verzerrt die schlechte Verbindung die Stimmen. Wo ist sie? Diese unbekannte, hilflose Frau. >>Du musst kommen. Die Ärzte sagen mit dir hat sie gute Chancen.<<, wiederholt sie immer wieder. >>Hören Sie<<, er versucht seinen Unmut zu zügeln. >>Ich bin nicht der, den Sie suchen. Ich bin nicht Nils. Ich kann Ihnen nicht helfen! Vielleicht ist er ein Idiot und hat Ihnen die falsche Nummer gegeben oder Sie haben sich verwählt.<< >>Aber Sie müssen doch Nils sein, du musst Nils sein. Du hast mir vor deinem Umzug diese Adresse gegeben. Felicia braucht dich, ihren Vater, sonst wird sie bald sterben.<<, besteht die Frau weiter auf ihren Standpunkt. >>Zum letzten Mal.<<, brüllte er nun in den Hörer. Er ist genervt. Er ist müde. Dieses Gespräch geht ihm auf die Nerven. Es ist überflüssig. Nils ist irgendwo, aber nicht hier. Hier ist nämlich nur er. Er, ein Mann, der schlafen will. Die Frau fängt wieder an: >>Aber vor dem Umzug…<< >>Ich bin leider nicht Nils. Viel Glück! Auf Wiederhören!<<, unterbricht er sie grob und knallt das Telefon auf den Boden. Es reicht! Es ist mitten in der Nacht! In der Nacht stört man keine Menschen. In der Nacht macht man keine Telefonate! Dazu ist genug Zeit, wenn die Sonne wieder aufgeht. Außerdem, wie kann man sich mitten in der Nacht verwählen? Wenn man in der Nacht jemanden anruft, sollte die Nummer, verdammt nochmal, stimmen. Die Nacht findet er, ist dazu da, nicht kompliziert zu sein. Vor allem will er sich nicht die Probleme anderer Leute anhören müssen. Ruhe, das spürt er, ist das, was irgendwie im Moment wichtig für ihn ist. Wahrscheinlich hat er morgen einen anstrengenden Tag. Er legt sich wieder ins Bett. Ruhe und keine Anrufe mehr. Doch die Müdigkeit kommt nicht. Er ist zu wütend. Das Adrenalin pulsiert regelrecht in seinen Adern. Immer wieder kommt das Mädchen vor sein geistiges Auge. Ein Mädchen, das da draußen irgendwo liegt und anscheinend an Krebs leidet. Krebs kann man in den meisten Fällen doch sowieso nicht heilen. Sie ist eine Fremde. Sie kann ihm doch egal sein. Schließlich kann er nicht alle Probleme lösen. Außerdem ist er kein Arzt. Er ist irgendetwas anderes, aber definitiv kein Arzt. Also Schluss mit diesem Humbug mitten in der Nacht. Es ist jemand anderes verantwortlich, nicht er. Auf keinen Fall er! Blöde, nächtliche Anruferin! Er löscht energisch das Licht und macht die Augen zu. Endlich schlafen!
Nach einigen Sekunden springen seine Augen wieder auf. An Schlaf ist nicht zu denken. Er macht seine Nachttischlampe wieder an. Irgendetwas verhindert, dass er diesen Anruf vergessen kann. Er bekommt plötzlich ein schlechtes Gewissen, obwohl er diese Frau doch eigentlich gar nicht kennt und auch nicht Felicia. Sie ist vermutlich sehr krank. Er soll Organe oder sonst irgendetwas für sie spenden, aber er ist doch nicht der Richtige. Warum musste sie sich auch verwählen? Jeden anderen Menschen hätte sie belästigen können. Warum gerade ihn? In letzter Zeit fühlt er sich sowieso schon nicht richtig wohl. Irgendwie fehl am Platz. Jetzt hat ihn auch noch diese Frau erinnert, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Langsam dreht er sich um und versucht eine Schlafposition zu finden. Dreht sich nach links und rechts. Im Kreis. Immer wieder um sich selbst, um sich selbst und nochmal um sich selbst. Doch er findet einfach keine Ruhe. Er. Frau. Kind. Er. Frau. Kind. Plötzlich lässt ihn diese Geschichte nicht mehr los.
Was, wenn das Kind stirbt? Wie ist diese Felicia? Hat die Frau den richtigen Nils gefunden? Was wenn nicht? Wie lange hat dann Felicia noch?
Gedanke kreist um Gedanke. Frage kreist um Frage. Langsam macht ihm diese Geschichte Angst! Er wird immer unruhiger, aber weiß nicht mal warum. Sein Atem geht schneller, das Herz rast. Wie elektrisiert springt er auf. Ihm kommt in den Sinn, dass er etwas suchen muss. Aber was soll er finden? Seine Wohnung kommt ihm nicht vertraut vor. Sie ist vermutlich neu. Oder? Er tigert nur in Boxershorts umher. Hat plötzlich Angst das zu finden, was er sucht. Das ist nämlich nicht gut. Irgendwie weiß er das. Von dem ganzen Stress hat er von einer Sekunde auf die andere Durst. Schnell geht er zum Kühlschrank. An dem Kühlschrank hängt ein Zettel. Er ist mit roten Ausrufezeichen umrahmt. Ganz automatisch liest er ihn. Schüttelt den Kopf. Doch plötzlich weiß er, dass es stimmt. Dort steht: >>Ich wohne hier. Ich heiße Nils. Ich leide seit einem Autounfall an Amnesie. Meine Frau Anna und unsere Tochter Felicia wohnen in Amerika. Weitere Informationen finde ich im Notizbuch unterm Bett.<< Er schaut zum Telefon und bekommt Angst. Warum hat er aufgelegt?
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